591. Geh aus, mein Herz, und suche Freud

1 Geh aus, mein Herz, und suche Freud,
in dieser lieben Sommerzeit,
an deines Gottes Gaben:
schau ander schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich aus geschmücket haben.

2 Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide.
Narcissen und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an,
als Salomonis Seide.

3 Die Lerche schwingt sich in die Luft;
das Täublein fleucht aus ihrer Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nactigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Thal und Felder.

4 Die Glucke führt ihr Völklein au,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwäldlein speist die Jungen.
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kömmt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.

5 Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich in ihrem Rand
mit schattenreichen Morthen;
die Wiesen liegen hart dabei,
und klingen ganz von Lustgeschrei
der Schaaf und ihrer Hirten.

6 Die unverdroßne Bienenschaar
fliegt hin und her, sucht hier und dar
ihr edle Honigspeise.
Des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise.

7 Der Weizen wächset mit Gewalt,
darüber jauchzet Jung und Alt
und rühmt die große Güte
deß, der so üverflüßig labt,
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüthe.

8 Ich selbsten kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Thun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn Alles singt,
und lasse was dem Höchten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

9 Ach, denk ich, bist du hier so schön,
und läßt du's so lieblich gehn
auf dieser armen Erden;
was will doch wohl nach dieser Welt,
dort in dem festen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden?

10 Welch hohe Lust, welch heller Schein,
wird wohl in Christi Garten sein,
wie muß es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim,
mit unverdroßnem Mund und Stimm,
ihr Halleluja singen.

11 O wär ich da, o stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron,
und trüge meine Palmen;
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

12 Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort,
an diesem und an allem Ort,
zu deinem Lobe neigen.

13 Hilf mir, und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
daß ich dir stetig blühe.
gieb daß dir Sommer deiner Gnad
in meiner Seelen früh und spat
viel Glaubensfrücht erziehe.

14 Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich wohl bekleiden.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm,
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.

15 Erwähle mich zum Paradeis
und laß mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen:
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr,
hier und dort ewig dienen.

Text Information
First Line: Geh aus, mein Herz, und suche Freud
Author: Paul Gerhardt. 1606-1676
Language: German
Publication Date: 1872
Topic: Jahreszeiten; Seasons
Notes: Mel. Kommt her zu mir
Tune Information
(No tune information)



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